Das Forschungsprojekt

Das Forschungsvorhaben grob skizziert

Die Grundzüge dieses Forschungsvorhabens sehen vor, mögliche Zusammenhänge zwischen Demenz und außergewöhnlichen Bewusstseinszustandserfahrungen, insbesondere Erfahrungen der Leere bzw. des Nichts zu überprüfen. Diese Erfahrungen sind bisher vor allem in spirituellen, östlichen Traditionen (Buddhismus, Hinduismus) bekannt, wo sie in der Regel erwünscht sind als Ausdruck eines weit entwickelten spirituellen Bewusstseins bzw. des spirituellen Erwachens; sie gehen in der Regel mit einem längeren Prozess von bis dahin unbekannten körperlichen, emotionalen und kognitiven Erfahrungen einher, die das ganze Selbst- und Weltbild erschüttern und eine zunehmende Ich-Auflösung zur Folge haben. In diesen Kontexten hat die Person, die derartige Erfahrungen macht, in der Regel einen langjährigen vorbereitenden Prozess mit speziellen Praktiken (Meditation, Körperübungen etc.) durchlaufen, unter der Begleitung erfahrener Lehrer, Lamas, Gurus, die sowohl den hinführenden Weg als auch die anschließende Integration und Verwirklichung intensiv begleiten. Auch ist in traditionell spirituellen Kontexten meist ein Lebensraum gegeben, in dem dieser oftmals über Jahre andauernde Prozess geschützt durchlebt werden kann.

 

Meine Annahme in diesem Kontext ist, dass derartige Erfahrungen auch außerhalb dieser spirituell-traditionellen Kontexte vorkommen, und, nicht verstanden und nicht integriert, zu einem zunehmenden Verwirrtheitszustand führen können, der sich schließlich als das manifestiert, was im medizinischen Kontext als Demenz definiert ist.

 

Als Auslöser dieser Erfahrungen vermute ich bisher u.a.

  • beruflich, alltagspraktisch oder im Freizeitbereich intensiv und über einen langen, möglicherweise mehrjährigen Zeitraum ausgeübte Praktiken, die in gewisser Weise einen kontemplativen, meditativen Charakter haben, aber nicht mit der Absicht, einen außergewöhnlichen Bewusstseinszustand zu erzielen,
  • ungewöhnliche Zustandserfahrungen, die durch Traumata verschiedener Art (körperlich, psychisch) ausgelöst und nicht integriert wurden, bzw. allgemeiner die Ich-Auflösung im Moment der traumatisierenden Erfahrung,
  • eine allmähliche, graduelle Ich-Auflösung im Alternsprozess, die möglicherweise ein default mode des Alterns sein könnte.

In allen Fällen besteht die Möglichkeit, dass aufgrund fehlender Anleitung bzw. Begleitung und dadurch mangelndem Verständnis des Kontextes und der Erfahrungsdimension an sich die Bewältigung der dadurch vielfach ausgelösten emotionalen, kognitiven und körperlichen Prozesse als äußerst beängstigend und verwirrend erlebt werden, und die anschließende Integration des veränderten Selbst- und Weltbildes nicht möglich ist. Viele der sogenannten Demenz-Symptome lassen sich aus dieser Perspektive heraus als  Bewältigungsphänomene verstehen und - eine entsprechende experimentelle Bereitschaft vorausgesetzt - durchaus phänomenologisch "am eigenen Leibe" nachempfinden, wie im Rahmen des Forschungsprojekts auch an einem Einzelfall dargestellt und ggf. mit Probanden überprüft werden soll.

 

Dies schließt wiederum die Möglichkeit ein, dass diese Erfahrungen mittel- oder langfristig durch die nicht erfolgte Integration bzw. bzw. die nicht erfolgte Bewusstwerdung der Natur dieses Vorgangs in die dauerhafte Verkörperung von Desorientierung – Demenz – führen können, wobei die organischen Vorgänge, Abnahme der synaptischen Verbindungen und zunehmender Verlust von Hirnmasse, sowie die damit verbundenen kognitiven Symptome wie z.B. Desorientierung, Abnahme der exekutiven Fähigkeiten, Verlust der Alltagsfähigkeiten damit eine Folge der vorhergehend beschriebenen Erfahrungen wären, und nicht - wie im biomedizinischen Standardmodell der Demenz beschrieben - Demenz die Folge eines Abbaus der synaptischen Potentiale des Gehirns aus nach wie vor ungeklärten Gründen ist.

 

Durch erste Interviews mit Angehörigen von Menschen mit Demenz, mit denen ich meine bisherige These versucht habe zu konkretisieren, wurde mir bewusst, dass insbesondere die "graduelle Ich-Auflösung über die Zeit" als eigenständiges Phänomen zu betrachten sein könnte, das möglicherweise auch ohne außergewöhnliche Zustandserfahrungen zu betrachten ist, und dass ein weiteres Phänomen, das ich zur Annäherung bisher als "nicht voll verwirklichte Ich-Identität über die gesamte Lebensspanne bei gleichzeitiger kognitiver Reife" bezeichnen möchte, ebenfalls Relevanz haben könnte. Es ist offensichtlich, dass in diesem bisher aus dieser Perspektive wissenschaftlich nahezu nicht erforschten Bewusstseinsspektrum noch vollkommen andere Phänomene erwartbar sein können.

Grundlegende Annahmen

Meine Annahmen sind durch einen eigenen mehrjährigen phänomenologischen Forschungsprozess entstanden, gereift und immer wieder neu hinterfragt und überprüft worden:

  • Die Ich-Auflösung - die Auflösung der personalen Identität - ist der default mode des Alterns.
  • Die Ich-Auflösung wird in der westlichen Kultur zumeist als Pathologie verstanden, Berichte über diese Erfahrung daher auch zumeist negativ, abwertend, pathologisch eingeordnet.
  • Demenz (im Sinne des derzeit dominierenden Narrativs) ist möglicherweise die Folge einer graduellen oder abrupten Ich-Auflösung; die Symptomatik entwickelt sich aus den psychologischen und spirituellen Folgen dieser Erfahrung, die das bisherige Selbst- und Weltbild auflösen, aus Nicht-Verstehen des Geschehens und der dadurch nicht zu bewältigenden Integration der Ich-Auflösung.
  • Demenz und dem spirituelle Erwachen, Erfahrungen von Leere, Nichts bzw. "ajata" liegen ähnliche oder gleiche phänomenologische Erfahrungen zugrunde.
  • Wenn sich das personale Sein auflöst, gibt es zwei mögliche Entwicklungsrichtungen: die präpersonale, was als Demenz bezeichnet wird, und die transpersonale, was nach meinem Verständnis das evolutionäre Potential des Alterns darstellt: die bewusste Ich-Auflösung, die Transzendenz dieser Erfahrung in die transpersonale Bewusstseinsdimension, ggf. bis zum Einheitsbewusstsein.
  • Es ist möglich, durch (rechtzeitige) Information und Bildung den Prozess der Ich-Auflösung bewusst zu machen und durch geeignete Maßnahmen Menschen dabei zu unterstützen, einen bereits begonnenen Prozess der präpersonalen Entwicklung zumindest aufzuhalten, eventuell sogar zu wenden.

Diese Thesen wissenschaftlich zu überprüfen erfordert ein transdisziplinäres, multiprofessionelles Vorgehen - das kann ich alleine weder methodisch, noch intellektuell, noch zeitlich, noch finanziell leisten - und will es auch gar nicht. Eine derartige Fragestellung muss kollektiv bearbeitet werden, damit Synergien und gegenseitige Transmissionen von Wissen und Einsicht einfließen und zu einer umfassenden, höheren kollektiven Erkenntnis führen können.

 

Ich erläutere im Folgenden kurz drei relevante Begriffe meines Vorhabens, schildere meinen beruflichen wie persönlichen Zugang zu dem Thema, und skizziere dann einige mögliche Vorgehensweisen des Forschungsvorhabens, wie mir sie zum derzeitigen Stand sinnvoll erscheinen.

Demenz

Eines der Hauptsymptome der Demenz (hier zuerst einmal nicht in die verschiedenen Formen differenziert) ist das zunehmende Vergessen und die zunehmende Desorientierung, in der Diagnostik meist als Desorientierung in Zeit, Ort, Situation und zuletzt in der eigenen Person identifiziert. In der Praxis zeigt sich dies als eine immer weiter abnehmendes Orientierung im Hier und Jetzt, das zunehmend ersetzt wird durch eine Verkennung des aktuellen erlebten Geschehens mit Ereignissen aus der eigenen Geschichte, verbunden mit immer weiter in das frühere Sein zurückgehendem Selbsterleben; in der Folge wird aus der Außenperspektive oftmals eine immer weiter in die Vergangenheit zurückgehende Selbsterzählung wahrgenommen, mit dem Paradox eines zunehmend kindlichen Selbsterlebens in einem sehr alten Körper.

 

Die Ursache der (meisten) Demenzen ist nicht geklärt, auch wenn es ein großes Forschungsaufkommen insbesondere zur Plaque-Hypothese bei Alzheimer gibt; allgemein wird eine neurophysiologische Fehlfunktion als Auslöser angenommen, die in der Folge zu einem Abbau von synaptischen Verbindungen und einem Verlust signifikanter Mengen an Gehirnmasse führt. Hieraus werden die anfänglich vor allem kognitiven Symptome wie zunehmende Desorientierung und Vergesslichkeit, zunehmende Einschränkungen der Exekutivfunktionen, abnehmende Fähigkeiten zur körperlichen Regulation und zunehmender Funktionsverlust bis hin zu vollständiger Inkontinenz und Immobilität erklärt.

 

Darüber hinaus gibt es zahlreiche weitere Erklärungsansätze, Forschungsbereiche, Behandlungsmethoden und Erörterungen verschiedener Aspekte, wie Demenz im individuellen wie kollektiven Leben in Erscheinung tritt. Eine umfassende Betrachtung der Demenz habe ich in meiner Masterarbeit in Gerontologie unter dem Titel „Entwurf für ein integrales Demenz-Konzept“ (2011) erstellt.[1]


[1] Wichers, B. (2011). Entwurf für ein integrales Demenz-Konzept. Masterarbeit. Universität Erlangen. Download: https://www.bettinawichers.de/deutsch/bibliothek/downloads/

Außergewöhnliche Bewusstseinserfahrungen

Als außergewöhnliche Bewusstseinserfahrungen oder spirituell transformative Erfahrungen wird ein breites Spektrum an Bewusstseinserfahrungen von paranormalen Erlebnissen, außerkörperlichen Erfahrungen, Nahtoderfahrungen bis hin zum sogenannten spirituellen Erwachen, Erfahrungen der Leere oder des Nichts bezeichnet. In der klassischen Psychologie oftmals pathologisiert sind dies Erfahrungsbereiche, denen sich insbesondere die transpersonale Psychologie, aber auch die neurowissenschaftliche Bewusstseinsforschung widmet. Außergewöhnliche Bewusstseinserfahrungen oder spirituell transformative Erfahrungen können selbst bei fachlich kompetenter Einordnung und guter Begleitung eine längere psycho-spirituelle Krise nach sich ziehen, die mehrere Jahre andauern kann; ist die Erfahrung für die betroffene Person kognitiv und/oder spirituell nicht einzuordnen und keine psychotherapeutische oder spirituelle Begleitung vorhanden, können sich ernsthaftere psychische und somatische Folgen daraus ergeben.

[1]


[1] Hofmann, L.; Heise, P. (2017). Spiritualität und spirituelle Krisen. Handbuch zu Theorie, Forschung und Praxis. Stuttgart: Schattauer.

Ich-Auflösung

Mit dem Begriff der Ich-Auflösung (oder Auflösung des "Selbst") beziehe ich mich nicht auf den "Ego-Tod" oder ähnliche Begriffe, wie sie u.a. in der esoterischen oder psychodelischen Szene verwendet werden, sondern verweise damit auf das Phänomen, wenn sich bei einem Menschen das Ich, der Sinn einer eigenen personalen Identität, abrupt oder sukzessive auflöst und diese Auflösung voranschreitet bzw. nicht mehr rückgängig gemacht werden kann. Dies kann unterschiedliche Ausprägungen annehmen, Ausprägungen transformativen Charakters, wie zahlreiche Menschen mit spirituell weitreichenden Erfahrungen bzw. Erfahrungen des spirituellen Erwachens berichten (vgl. z.B. Bernadette Roberts, Adyashanti), aber auch die als Demenz bekannten Ausprägungen des zunehmenden Verlusts eines personalen Ichs. bei gleichzeitiger Beibehaltung der präpersonalen oder Ego-Anteile (hier beziehe ich mich ausdrücklich auf das, was in der Regel als Ego attribuiert wird, den unreifen, oftmals unwillkürlichen und unbewussten Anteil der menschlichen Existenzerfahrung), die unter einer Demenz sehr wohl noch lange wahrzunehmen sind wie auch bei den meisten spirituell bzw. hinsichtlich ihrer eigenen Bewusstseins- oder Ich-Entwicklung eweit fortgeschrittenen Menschen. Die sorgsame Differenzierung von Ego, Ich und Selbst sowie präpersonaler, personaler und transpersonaler Identität wird Teil des Forschungsprojekts sein.

Beruflicher Zugang zum Thema

Als Gerontologin in der Fallsupervision in der gerontopsychiatrischen Pflege habe ich langjährige Erfahrung in der Wahrnehmung und Einschätzung von Menschen mit Demenz auf der Ebene des Verhaltens und Erlebens, und im „Übersetzen“ meiner Wahrnehmungen in Verhaltensvorschläge für die Pflegepersonen, die zur Entlastung von Situationen sogenannten herausfordernden Verhaltens zwischen Menschen mit Demenz und ihren Begleiter/innen beitragen.

 

In diesem Kontext habe ich viele Situationen mit Menschen mit Demenz erlebt, sowohl in alltäglichen Situationen, in herausfordernden Situationen mit großem Leidensdruck bei Menschen mit Demenz wie den Betreuenden, wie auch in Situationen vollständiger Ruhe. Letztere Situationen waren insbesondere in einer Pflegeoase, einem Pflegekonzept für Menschen mit einer weit fortgeschrittenen Demenz, die dauerhaft immobil sind, häufig zu erleben. Zudem konnte ich an einigen Bewohner/innen eines Pflegeheims den Verlauf einer demenziellen Entwicklung über einen Zeitraum von bis zu acht Jahren mitverfolgen und bezeugen.

 

So entstand in mir der Gedanke, dass bei einem Menschen mit Demenz im Zustand der Ruhe kaum ein Unterschied in der „Ausstrahlung“ zwischen ihm und einem Zen-Mönch in tiefer Versenkung besteht – der Mensch mit Demenz schien für mich in diesen Momenten in einem Zustand von Frieden zu sein. Aus meiner heutigen Perspektive würde ich es als einen Zustand der „Leere“ bezeichnen, die ich in den betreffenden Menschen wahrnahm, in dem Wissen, dass diese Leere außerhalb eines spirituellen Kontexts, in dem derartige Bewusstseinszustände als erstrebenswert angesehen werden, als irritierend empfunden werden und mit negativen Assoziationen belegt werden können (so z.B. der Vergleich von Menschen mit Demenz mit den Opfern von „Dementoren“ in den Harry Potter-Filmen in einem Sachbuch über Demenz)[1].


[1] M. Nehls: Die Alzheimer-Lüge. Die Wahrheit über eine vermeidbare Krankheit. Heyne Verlag (München) 2014

Persönlicher Zugang zum Thema

Vor einigen Jahren hatte ich selbst eine außergewöhnliche Bewusstseinserfahrung, für mich damals als „out of the blue“ erlebt, eine „Erfahrung des Nichts“, die mein Leben radikal veränderte und in der Folge eine Ich-Auflösung und damit einen Zustand auslöste, der als spirituelle Krise bezeichnet werden kann. Diese musste ich in Ermangelung der Zugehörigkeit zu einer spirituellen Tradition oder Begleitung durch einen spirituellen Lehrer bzw. einer in diesen Kontexten erfahrenen psychotherapeutischen Unterstützung über einen längeren Zeitraum alleine bewältigen, bis ich schließlich eine transpersonale Psychotherapeutin fand, die mich supervidierend begleitete, mir die Normalität meines Prozesses und meine kognitive Orientiertheit spiegelte und verschiedene weitere Bewusstseinserfahrungen, die ich in der Folge machte, fachlich einordnete, was zu meiner Entlastung beitrug.

 

Während des mehrjährigen Prozesses begleitete mich die Wahrnehmung, dass mein Prozess, der zwischenzeitliche Phasen von Angst, Verwirrung und Verzweiflung beinhaltete – in meinem Falle aber bei vollständigem Erhalt meiner Kognition – eine große Ähnlichkeit mit den innerpsychischen Prozessen haben könnte, die ich als Gerontologin in den von mir begleiteten Menschen mit Demenz hatte wahrnehmen bzw. bezeugen können, und so begann ich schließlich, meinen eigenen Prozess phänomenologisch zu erforschen und zu dokumentieren und die daraus resultierenden Erkenntnisse mit neurowissenschaftlichen Erkenntnissen über die Vorgänge im Gehirn bei speziellen spirituellen Zustandserfahrungen und möglichen Parallelen zu den Vorgängen im Gehirn bei Demenz zu vergleichen.

 

Zugleich waren die Umbruchsprozesse in meinem Denken so radikal, dass ich oftmals das Gefühl hatte, diese nicht bewältigen zu können - verbunden mit dem Bewusstsein des sich auflösenden Ichs, wenn ich in der Ruhe war, und weiteren sehr herausfordernden Zustandserfahrungen, die ich mir trotz eines vorher bereits vorhandenen Interesses an Bewusstseinsentwicklung als real menschliche Erfahrung nicht hatte vorstellen können. Ich war derweil die ganze Zeit voll orientiert, war mir aber auch der möglichen Parallelen zu Diagnosen von Depersonalisation und Psychose bewusst, weshalb ich mich immer wieder von Freunden bzw. von der Psychotherapeutin dazu überprüfen bzw. supervidieren ließ. Auch studierte ich Berichte von anderen Menschen mit sogenannten Erwachenserfahrungen, von denen es zahlreiche gibt, die diese Erfahrung nicht als „blissful“ erlebten (was eine populäre Erwartung in spirituellen Kreisen ist), sondern eher „like hell“[1].

 

Ein weiteres Forschungsinteresse galt der Beobachtung, dass es einige spirituell weit entwickelte, hoch anerkannte Persönlichkeiten gibt, bei denen sich im Alter eine Demenz entwickelte, was zumindest in einem mir bekannten Fall möglicherweise mit der von ihm intensiv ausgeübten und an zahlreiche Schüler übermittelten Meditationsmethode, die die Vorwegnahme des eigenen Sterbens (und damit das die Auflösung des Ichs) beinhaltet, zusammenhängen könnte. Hier sehe ich Zusammenhänge mit den bisher skizzierten Aspekten.


[1] So z.B. ein Ausdruck von Maury Lee in einem persönlichen Mailwechsel (http://nomaury.blogspot.com/); einen jahrelangen Irrweg in der Bewältigung der Erfahrung berichtet Suzanne Segal (1998). Collision with the Infinite. San Diego: Blue Dove Presse; außerdem Berichte zu spirituellen Krisen u.a. in den einschlägigen Facebook-Gruppen oder im SEN, Spiritual Emergence Network.

Forschungsvorhaben

Aus dem Zusammenfließen all dieser Erkenntniswege und auf der Basis meiner langjährigen Erfahrung mit Menschen mit Demenz zeigten sich immer mehr Indizien für die Hypothese, dass es sich bei Demenz (in diesem Falle Alzheimer-Demenz, eine Ausweitung der These auf andere Demenzformen ist vermutlich möglich) um die Folge einer unbewussten oder zumindest kognitiv nicht einzuordnenden Erfahrung der Leere bzw. des Nichts (oder auch des sogenannten spirituellen Erwachens) handeln könnte, die in der Folge einen Prozess der Ich-Auflösung in Gang setzt, die in Ermangelung von Wissen und Anleitung dann zu einer zunehmenden Verkörperung von Verwirrtheit im Gehirn führt, mit dem Precuneus als „Verkörperungsinstanz“ des Ichs bzw. der Perspektive des Handelns als Ausgangspunkt des Somatisierungsprozesses der Demenz, zusammen mit dem Default Mode Network, bei dem aus der neurowissenschaftlichen Forschung ebenfalls gewisse Parallelen zwischen Demenz und bestimmten spirituellen Zustandserfahrungen ersichtlich sind. Für den Precuneus als Ausgangsort dieses Prozesses sprechen neben Erkenntnissen z.B. aus der Forschung zur nondualen Meditation[1] auch Erkenntnisse aus den spirituellen Wissenschaften über die Natur des Bindu, des (Neben-) Chakras, das anatomisch betrachtet an der Stelle des Precuneus zu verorten ist, und der auch als Funken oder Samen der Existenz überliefert ist.

 

Nimmt man die Erfahrung der Nondualität oder des sogenannten spirituellen Erwachens als spirituelle, psychologische wie auch neurophysiologische Gegebenheit - wovon eine Richtung der Bewusstseinsforschung, die sich der Erforschung spezifischer spiritueller Zustände widmet, ausgeht[2] - dann ist anzunehmen, dass wesentlich mehr Menschen als bisher bekannt diese Erfahrung machen, ohne auf einem spirituellen Weg zu sein, getriggert durch andere Erfahrungen als die einer explizit spirituellen Praxis, wofür es zahlreiche Quellen gibt[3], bzw. dass auch diejenigen, bei denen eine derartige Erfahrung z.B. durch eine längere Meditationspraxis induziert wurde, sie teilweise verkennen aufgrund der Tatsache, dass sie nicht als Verzückungszustand auftaucht, sondern ganz im Gegenteil als höchst verwirrender und verunsichernder Zustand „ohne Ich“ - wie es u.a. durch die Autobiographie von Suzanne Segal dokumentiert ist.[4]

 

Wie sie berichten auch andere Quellen in diesem Kontext von langjährigen beängstigenden und verwirrenden Erfahrungen, in denen z.T. die Alltagsfunktionen deutlich reduziert waren - Erfahrungen, die, wenn sie über eine längere Zeit nicht begleitet und vor allem nicht verstanden werden, möglicherweise zu einer Verkörperung führen können in dem Sinne, dass die eigene Geschichte und das Wissen um das eigene Ich zunehmend vergessen werden, was sich dann in den bekannten Desorientierungszeichen der Demenz zeigen könnte. Aber auch andere neurodegenerative oder pathologische Entwicklungen sind durch die Erfahrung der Ich-Auflösung möglich, worauf kognitive bzw. neurologische Veränderungen bei zahlreichen spirituell sehr weit fortgeschrittenen Menschen sprechen, u.a. Demenz, Schlaganfall, Hirntumor und ALS[5]: Das spirituelle Erwachen scheint nicht automatisch gesundheitsförderlich zu sein.


[1] Z.B. Josipovic, Z. (2021). Implicit–explicit gradient of nondual awareness or consciousness as such. Neuroscience of Consciousness, 2021.

[2] Ebd.; Sharp, P.E. (2011). Buddhist Enlightenment and the Destruction of Attractor Networks: A Neuroscientific Speculation on the Buddhist Path from Everyday Consciousness to Buddha-Awakening. Journal of Consciousness Studies, 18, No. 3–4, 2011; Wade, J. (2018). After Awakening, the Laundry: Is Nonduality a Spiritual Experience? International Journal of Transpersonal Studies.

[3] Wade, J. (2004). Transcendent Sex: When Lovemaking Opens the Veil. Gallery Books; oder auch zahlreiche Berichte in der Podcast-Serie Buddha at the Gaspump: https://batgap.com

[4] Segal, S. (1998). Collision with the Infinite. San Diego: Blue Dove Press.

[5] Aus bisher nicht autorisierten Berichten von Mitgliedern spiritueller Gemeinschaften weiß ich um die Entwicklung des Bewusstseins von zwei leitenden spirituellen Lehrern aus verschiedenen spirituellen Traditionen in eine Demenz bzw. in den vollständigen Verlust des Alltagsbewusstseins in ihren letzten Lebensjahren; Suzanne Segal verstarb an einem Hirntumor, der spirituelle Lehrer Ram Dass erfuhr durch eine bestimmte spirituelle Übung einen Schlaganfall, die christliche Nonne und Mystikerin Bernadette Roberts starb an Amyotropher Lateralsklerose.

Hypothese

Auslöser für einen Prozess, der im medizinischen Kontext als progredienter pathologischer Verlauf einer Krankheit mit den Stadien Frühdemenz, leichte Demenz, mittelschwere Demenz und schwere Demenz beschrieben wird, kann eine außergewöhnliche Zustandserfahrung, eine spirituell transformative Erfahrung (STE), eine Erfahrung des der Leere oder des Nichts - in den spirituellen Traditionen auch spirituelles Erwachen bezeichnet - sein, die eine abrupte Ich-Auflösung induziert, oder auch eine anderweitig ausgelöste, unbewusste, nicht verstandene und in der Folge verdrängte und nicht integrierte Erfahrung der Ich-Auflösung.

 

Desweiteren kann es sich bei Demenz um eine mögliche Auswirkung/ Spätfolge einer sehr langen und intensiven spirituellen Praxis handeln, die ebenfalls eine Ich-Auflösung bewirkte, die von der betroffenen Person im hohen Alter nicht mehr auf einer sehr hohen, reifen Bewusstseinsstufe gehalten werden kann und dann in eine Entwicklung, die der Demenz zumindest sehr ähnlich ist, führt.

 

Aus dieser Hypothese lassen sich weitere Hypothesen, insbesondere in Verbindung mit den eingangs formulierten Annahmen, entwickeln, die weitere Potentiale der Ich-Auflösung betreffen.

Methodische Überlegungen

Ziel ist es, die Hypothese mit Erkenntnissen aus verschiedenen Forschungsdisziplinen und Methoden im Sinne eines integralen methodologischen Pluralismus (Wilber) zu überprüfen, wozu sich verschiedene methodische Wege zur Kombination anbieten

  • (mikrophänomenologische) Interviews mit Menschen mit beginnender Demenz (entsprechend GDS-Reiß-Skala 2,3, ggf. 4) bzw. MCI über ihr Erleben des Phänomens der Ich-Auflösung und anderer ungewöhnlicher Bewusstseinserfahrungen
  • Erhebung von MMSE + Geriatrischer Depressions-Skala zu verschiedenen Zeitpunkten
  • Vergleich ihrer Erfahrungen mit Berichten von spirituellem Erwachen und anderen transformativen Bewusstseinserfahrungen
  • Scoring der Ich-bzw. Bewusstseins- Entwicklungsstufe, zumindest zu Beginn und am Ende des Forschungszeitraums
  • MRT, EEG, weitere medizinische Parameter zu verschiedenen Erhebungszeitpunkten
  • Entwicklung eines Ansatzes der Bewusstseinsarbeit für Menschen mit Anzeichen von Ich-Auflösung; Überprüfung mit weiteren Messungen der Bewusstseinsentwicklung, ggf. vergleichend auch durch Methoden Demenz-Diagnostik
  • Quellenstudium von Berichten von neurologischen und psychiatrischen Veränderungen bei sogenannten spirituell erwachten Menschen, Vergleich mit den berichteten Erfahrungen der Studienteilnehmer/innen
  • Interviews mit Menschen, die ein sogenanntes spirituelles Erwachen erfahren haben; Diagnostik ähnlich zu oben beschriebenem Vorgehen
  • Kategorienbildung für spirituelles Erwachen, Ich-Auflösung, Demenz
  • Interviews mit Menschen, die noch lebende spirituell weit entwickelte Menschen/ spirituelle Lehrer/ Lamas/ Gurus/ Priester mit neurodegenerativen Veränderungen begleiten oder zumindest im engen Kontakt mit ihnen sind, ggf. in Kombination mit gerontopsychiatrischem Assessment bzw. Assessment der Bewusstseinsentwicklung der betreffenden Personen
  • Vergleich neurowissenschaftlicher Erkenntnisse über die Hirnveränderungen im Verlauf einer Demenz mit der von Menschen mit spirituellen Erwachenserfahrungen bzw. langjährigen Praktikern Ich-auflösender Meditationstechniken
  • Interviews mit Pflegenden von Menschen mit Demenz in der Langzeitpflege, ggf. auch von Angehörigen zur Wahrnehmung des Phänomens der Ich-Auflösung
  • Dokumentation meiner phänomenologischen Erkenntnisse aus meinem eigenen Prozess sowie aus der professionellen Zeugenschaft von Bewusstseinszuständen von Menschen mit Demenz
  • Erkenntnistheoretische Herleitung der These, dass es sich bei Demenz und spirituellem Erwachen phänomenologisch um ein sehr ähnliches Geschehen handelt

Diese Methoden entstammen meiner ersten Überlegungen, wie ein weitgefasstes Forschungsvorhaben in diesem Kontext aussehen kann, in dem Bewusstsein, dass meine einzelne Perspektive allein das Spektrum von Forschung und möglicher Erkenntnis nicht erfassen kann. Weitere Methodologien bzw. der Einbezug weiterer wissenschaftlicher Erkenntnisse gemäß dem Integralen Methodologischen Pluralismus (Wilber)sind daher wünschenswert.

Meine akademische und berufspraktische Qualifikation

  • Diplom-Pädagogin, Universität Göttingen, 1997
  • Gerontologin, M. Sc., Universität Erlangen, 2011
  • über 25 Jahre selbständige Dozentin, Beraterin, Coach und Fallsupervisorin in der gerontopsychiatrischen Pflege bzw. im Kontext Demenz, dabei intensive Einblicke und persönliche Begegnungen mit vielen Menschen mit Demenz, Angehörigen und beruflich Pflegenden, die mir das ermöglichten, was ich eine professionelle Zeugenschaft der Zustandserfahrungen und der Bewusstseinsentwicklung im Kontext einer Demenz nenne.
  • zahlreiche Zusatzausbildungen, Studienfelder, berufspraktische Erahrungen, siehe Vita
  • Masterthesis "Entwurf für ein Integrales Demenz-Konzept", 2011, siehe Downloads
  • vorangehend zu diesem beruflichen Entwicklungsweg: fünf Semester vorklinisches Medizinstudium inklusive Pflegepraktikum

Akademischer Kontext des Forschungsvorhabens

Transdisziplinär, dabei folgende Felder transzendierend und inkludierend: Gerontopsychiatrie, Neurophänomenologie, neurowissenschaftliche Bewusstseinsforschung, Transpersonale Gerontologie, Transpersonale Psychologie; weitere Felder möglich (z.B. Geriatrie, Soziale Arbeit, Psychologie, aber auch ganz andere wissenschaftliche Kontexte/Kooperationen sind denkbar wie z.B. Quantum Social Science).