Demenz-Transzendenz


Was ist, wenn wir den Ausgangspunkt des Versuches,

Demenz zu verstehen, nicht auf die körperlichen Vorgänge legen,

sondern auf das Phänomen der Ich-Auflösung?


Im Kontext der öffentlichen Demenz-Diskussion fällt gelegentlich der Satz, dass wir alle "dement werden", wenn wir nur alt genug werden. Aus meiner Perspektive ist Demenz jedoch keine Altersfrage, sondern eine Bewusstseinsfrage, und so lade ich ein, unser bisheriges biomedizinisches Krankheitsmodell der Demenz als eine unheilbare neurodegenerative Hirnerkrankung zu erweitern mit Erkenntnissen aus der Bewusstseinsforschung, und dabei die bisherigen neurowissenschaftlichen Erkenntnisse einzuschließen, sie aber aus einer anderen, einer involutionären Perspektive zu betrachten.

 

Demenz ist jedoch nur der Oberbegriff für ein Krankheitssyndrom, das viele verschiedene Krankheitsbilder umfasst - dazu gehört insbesondere auch die Alzheimer-Demenz (AD), die Lewy-Körperchen-Demenz, die Frontotemporale Demenz und die vaskuläre Demenz. Dies nehme ich vorweg, weil ich immer wieder gefragt werde, was denn der Unterschied zwischen Demenz und Alzheimer wäre. Wenn ich also von Demenz spreche, schließe ich immer die Alzheimer-Demenz als eines der am häufigsten diagnostizierten Demenz-Krankheitsbilder mit ein, und in gewisser Weise entspricht diese auch "idealtypisch" meinen Einsichten und Schlussfolgerungen.

 

Die Herausforderung, um die es nach meinem Verständnis bei dem Phänomen Demenz geht, ist möglicherweise kein unausweichliches und unumkehrbares Schicksal: Je älter wir werden, umso häufiger können wir in längere Zustände von Verwirrtheit und Desorientierung geraten, deren Ursache aber nach meinem Verständnis nicht in erster Linie körperlicher Natur ist, sondern aus einer zunehmenden Desorientierung im eigenen Sein, in einer Verwirrung über den Sinn des eigenen Lebens, in nicht integrierten herausfordernden bzw. traumatischen Lebenserfahrungen, und möglicherweise auch in zunehmenden, neuen oder in der Reaktivierung von früheren, aber verdrängten ungewöhnlichen oder paranormalen Bewusstseinserfahrungen resultieren kann, die eine vorübergehende oder dauerhafte Auflösung der bisherigen Vorstellungen von Selbst und Welt beinhalten. Die körperlichen Symptome, die als Zeichen einer Demenz beschrieben werden, sind aus dieser Perspektive die Folge, nicht die Ursache des Phänomens, das wir Demenz nennen.

In diesem Kontext betrachte ich eine fortgeschrittene Demenz inzwischen - auch aufgrund meiner eigenen Bewusstseinserfahrungen und meiner beruflichen Zeugenschaft vieler „Demenz-Lebensgeschichten“ - als eine zunehmende Verkörperung der unbewussten Ich-Auflösung - und damit als eine Entwicklung, die man möglicherweise bis zu einem stets individuellen Zeitpunkt der Entwicklung noch wenden kann. Neurowissenschaftliche Erkenntnisse über die Natur des Precuneus (der für mich die "Verkörperung" des bindu repräsentiert), Erkenntnisse über Ähnlichkeiten in Veränderungen des Default Mode Networks, des Standardnetzwerks des Gehirns, sowohl bei der Demenz als auch bei sehr weit fortgeschrittenen spirituellen Zustandserfahrungen wie der nondualen Meditation (vgl. z.B. die Forschung von Josipovic), Erkenntnisse über die paradoxe Luzidität bei Menschen mit sehr weit fortgeschrittener Demenz haben in mir zusammen mit meiner eigenen Zeugenschaft so vieler Zustandserfahrungen von Menschen mit Demenz einen transdisziplinären Erkenntnisprozess in Gang gesetzt, der mich zu anderen Schlüssen über mögliche Ursachen von Demenz bringt als die medizinisch-psychiatrisch-pharmakologische Forschung.

Es ist eine langsame und allmähliche Entwicklung aus der personalen Identität in zuerst vorübergehende, später längerfristige oder gar dauerhafte präpersonale Bewusstseinszustände, in Zustände, wo kein klares Bewusstsein einer konsistenten personalen Identität mehr vorhanden ist, und das bisherige Leben nur noch in einzelnen Blitzlichtern und kurzen Filmsequenzen immer wieder aufzutauchen scheint, ohne noch längerfristig zu einer sinnvollen Geschichte verbunden werden zu können. Die personale Identität - ausgedrückt im Geist, im Verstand und seinen neurologischen Korrelaten - löst sich zunehmend auf, derweil die körperliche Existenz, je nach strukturellen Rahmenbedingungen, noch lange erhalten bleiben kann.

Das medizinische-psychiatrische Verständnis dieses Prozesses ist, dass es aus bisher ungeklärten Gründen zu Veränderungen, genauer: Abbauprozessen im Gehirn kommt, die nicht aufhaltbar, nicht umkehrbar, nicht heilbar sind - zumindest, und das ist als Teil der Geschichte nicht unerheblich - bis das richtige Medikament gefunden sein wird.

 

Ich habe in über 25 Jahren beruflicher Tätigkeit im Feld der Demenz viele dieser Thesen kennengelernt, manche davon eine Weile intensiver überprüft und für mich übernommen, und schließlich nahezu alle wieder verworfen, auch etliche meiner eigenen Thesen. Immer lief jedoch der Gedanke mit, dass es auch in der Demenz einen Aspekt der Selbststeuerung gibt und es sich eben nicht um ein unveränderliches Schicksal handelt - zumindest bis zu einem bestimmten Punkt des Weges.

 

Mir ist bewusst, dass meine Perspektive diametral entgegengesetzt zu nahezu allen Fachmeinungen zu stehen scheint, die von einem schicksalshaften, medizinisch nach wie vor ungeklärten Vorgang ausgehen, dem ein Mensch hilflos ausgesetzt ist, und Demenz als eine Krankheit ansehen, die pharmakologisch behandelt werden muss und letztlich nur palliativ begleitet werden kann. Mit dieser Sichtweise habe ich mich bereits vor vielen Jahren in meiner Master-Thesis zu einem "Integralen Demenz-Konzept" beschäftigt, und mein damaliges erweitertes Verständnis hat sich nicht zuletzt auch als Folge meiner Erfahrung des Nichts noch einmal vertieft und erweitert.

 

Die Ich-Auflösung, so meine These, ist ein normaler Bestandteil der menschlichen Existenzerfahrung, die zumindest im letzten Moment des Lebens, im Moment des Todes, von allen Menschen erfahren wird.

 

Ich stelle hier keine "Gegenthese" auf, sondern biete lediglich eine andere Perspektive an, und darin bedeutet Demenz-Transzendenz zweierlei: Erstens das "Übersteigen", das Transzendieren des derzeitigen Verständnisses von Demenz als unheilbaren körperlich-mentalem Abauprozess unter gleichzeitigem Inkludieren des bisherigen Erkenntnisstandes, und zweitens das Transzendieren des Demenz-Begriffes an sich. Ich verwende ihn weiter, weil es derzeitiger Konsensus ist, bestimmte Vorgänge als Demenz zu bezeichnen, und ich eben dort anknüpfe. Zugleich ist der Vorgang, der bisher als Demenz bezeichnet wird, für mich präziser als Desorientierung oder als Verwirrtheit zu bezeichnen - das klingt in gewisser Weise roher, ungeschminkter, und hilft m.E. zugleich, dass wir den Fokus auf den eigentlichen Vorgang legen und beginnen, ihn individuell wie gemeinschaftlich zu untersuchen. 


Was ist "Verwirrtheit" oder "Desorientierung" eigentlich für ein Bewusstseinszustand,

wann beginnt die Verwirrtheit, die Desorientiertheit im Leben eines Menschen

und was passiert da genau?


Eine derartige phänomenologische, introspektive Forschung, so meine These, kann im Zusammenspiel mit einigen Techniken und Methoden ein Bewusstsein für das eigene, sich verändernde Bewusstsein schaffen. Diese selbstbestimmte, nach Bedarf auch begleitete Selbsterforschung setzt an mehreren Punkten an:

  • die Erfahrung der Verwirrtheit bzw. Desorientierung an sich
  • die Erfahrung der Ich-Auflösung
  • die Frage, welche Aspekte der bisherigen personalen Identität, der eigenen Geschichte noch angeschaut werden wollen
  • die Frage, welche trans-personale Identität dahinter auftaucht, welches "höhere Ich" oder welcher "höhere Mensch" (Steiner) sich ausdrücken und verkörpern möchte, auch in der (fortgeschrittenen) Demenz

Keine dieser Fragen steht dabei für sich allein, sondern sie bedingen sich gegenseitig - und ich betrachte sie insbesondere vor dem Hintergrund meines Verständnisses einer transpersonalen Gerontologie, die die transpersonale Dimension und die bewusste Ich-Auflösung als eine Aufgabe und Herausforderung des Alterns ansieht, und die gerade deswegen die Demenz dabei nicht ausnimmt, sondern als einen möglichen Weg der Ich-Auflösung ansieht.

 

Ob ein Vorgehen wie von mir skizziert den Prozess einer bereits zunehmenden Desorientierung lenken, aufhalten oder gar revidieren kann, kann ich nicht sagen; es wird immer von dem jeweiligen Menschen und einem ggf. unterstützenden Umfeld abhängen. Ich sehe aber in dem hier beschriebenen Perspektivwechsel und der damit verbundenen Selbstermächtigung eine Chance, das bisherige Verständnis von Demenz zu transzendieren - ohne die herausfordernden Aspekte der Lebensrealität sehr vieler Menschen, die mit dieser Diagnose leben und die entsprechenden Veränderungen in ihrem Leben erfahren, zu bewerten oder zu leugnen.

 

Ich gehe davon aus, dass eine wirkliche Wendung dieses Bewusstseinsprozesses mehr erfordert als den oben erwähnten Perspektivwechsel und die introspektive Forschung, und so ist dies weder ein Heils- noch ein Heilungsversprechen und vermutlich nur für Menschen mit frühen Symptomen von Vergesslichkeit und Desorientierung geeignet; auch warne ich (auch mich selbst) davor, einen derartigen Ansatz im Sinne eines „spiritual bypassing“ zu nutzen.

 

Obwohl ich die Kraft des Bewusstseins an sich als eine primäre Kraft in jedem Heilungsprozess sehe, sehe ich auch, dass wir als Menschen in kollektive und individuelle Glaubenssätze, Praktiken und Felder einge­bunden sind, die eine Heilung allein durch Introspektion und Bewusstseinsarbeit erschweren, wenn nicht gar behindern können. Dies gilt insbesondere bei Demenz.

 

Eine ganzheitliche Genesungspraxis sehe ich daher nicht nur im Kontext von Demenz als wesentlich an, wobei auch therapeutische Arbeit, insbesondere Traumatherapie, medizinische Unterstützung mit salutogenetischer Ausrichtung, bewusste Ernährung, Unterstützung des körperlichen Transformationsprozesses durch gezielte Nährstoffergänzung, Bewegung, Aufenthalt in der Natur, Aufstellungsarbeit, Integration in Gemeinschaften etc. angezeigt sein können.

 

In meiner Begleitung auf dem Weg zur (Neu-)Orientierung im eigenen Sein unterstütze ich daher, dass die von mir begleitete Person für sich eine Lebenspraxis entwickelt, die ganzheitliche, integrale Heilung ermöglicht.

In diesem Kontext biete ich unter anderem folgende Möglichkeiten, mit mir zu arbeiten, zu forschen, sich beraten oder coachen zu lassen:

  • Wohnzimmer-Seminare (die natürlich auch in anderen Räumlichkeiten möglich sind) für Menschen, die sich im Freundeskreis mit dem Thema auseinandersetzen, auch in Hinsicht auf eine mögliche Demenz-Prävention, oder auch für Angehörigen-Gruppen.
  • Gespräche über Demenz bzw. Coaching
  • für Menschen, die an sich selbst eine verstärkte Vergesslichkeit oder Desorientierung bemerken
  • für Menschen, die sich des Prozesses der Ich-Auflösung in ihnen bewusst werden oder bereits sind, und dabei Begleitung wünschen
  • für Menschen, die Menschen mit Desorientierung/ Demenzdiagnose begleiten
  • für professionell Pflegende oder Leitungspersonen von Pflegeeinrichtungen
  • für Menschen, die selbst über das Phänomen Demenz nachdenken und dazu eine kompetente Gesprächspartnerin mit ungewöhnlichen Perspektiven suchen.

Gerne arbeite ich auch mit Auszubildenden in der Altenpflege z.B. im Rahmen von Reflexionstagen und mit Pflegeteams zu diesem Themenbereich - auch im Rahmen von Fallsupervision.

Wenn ich meine Einsichten und Erkenntnisse zuspitze, dann sehe ich Demenz und das spirituelle Erwachen als die Endpunkte des Spektrums menschlichen Bewusstseins an; hier habe ich dies weiter ausgeführt.